Dieses Haus war der Beginn von Casa Kaiensis. Wir haben es nur noch nicht gewusst.
Anfang des Jahres 2008, als die Immobilienkrise vor allem in den Staaten große Wellen schlug und unzählige US-Amerikaner durch ausufernde Spekulationen von rücksichts- und gesichtslosen Bankern ihr Haus verloren, sah ein Kalifornier namens Jay Shafer, der schon seit 1999 in einem umgebauten Airstream Wohnwagen wohnte, eine Lösung für Leute, die am Rande der Obdachlosigkeit standen.
Von der Not zur Tugend.
Er war es, der unter dem Label „Tumbleweed“ das allererste Tiny House gebaut hat… eine stark verkleinerte Version der üblichen Mac-Mansions, nur auf Rädern: preiswert zu bauen, mobil (keine Baugenehmigungen oder baurechtliche Abnahmen - ja, auch die gibt es in den Staaten, zwar nicht so einschränkend wie hierzulande, aber immerhin), geringste Unterhaltskosten - auch im Winter.
Und das Beste… das Tiny House war schon während der Bauphase bezahlt. Wenn man es denn richtig gemacht hat.
Zusätzlich baute er eine Philosophie rund um seine Tiny Houses und deren Baupläne, die die Menschen gleichermaßen von unnützen, zukünftigen Ausgaben sowie von unnützem Müll in ihren Köpfen befreien sollte: wenn man sich ein Tiny House gebaut hat, wäre es sinnvoll, wenn man mit nur 300 Sachen einziehen würde. Eine Socke zum Beispiel galt als ein Teil. Eine Zahnbürste, ein Brotmesser oder eine Küchenzeile (ohne Inhalt) als je ein Teil und so weiter.
So wählt man schon während des Auszugs seine Essentials und kategorisiert automatisch in „nötig“, „nice to have“ und „unnötig“.
Und wenn man erstmal drin wohnt, muss, wenn ein neues Teil dazu kommt, ein anderes gehen.
Um ganz ehrlich zu sein… das Tiny House hatte es mir damals nicht wirklich angetan. Wohl aber die Philosophie dahinter!
Ich wusste, dass das Haus an sich nur Mittel zum Zweck war, ein Vehikel, um mich nebst einem über die Zeit eingeschlichenen, seelischen Lebensmißstand wieder auf die richtige Spur zu bringen. Wohnte ich doch damals als selbstständiger Zahntechniker in einem großen Penthouse, umgeben von Sachen, die eher an die Einrichtung eines sauteuren Möbelhauses erinnerten, als an erhebende, der Seele schmeichelnde Dinge.. Tief im Inneren war ich unglücklich… nein, so, wie es die Masse als erstrebenswert ansieht, wollte ich nicht mehr leben.
Also baute ich von Mai bis August 2008 mit Bauplänen von Jay Shafer, der im gerade aufkommenden Tiny-House-Movement in den Staaten als Tiny-House-Guru hochstilisiert wurde, ein "Wee-Bee" in meinem Garten in Bielefeld. Vom Umgang mit Holz völlig unbeleckt ging es voran und anfängliches, teilweise handwerkliches Unvermögen mündete schließlich fast schon in einer Obsession! Teilweise war ich länger auf der Baustelle zu finden als im Labor.
Ich wusste es damals noch nicht, aber ich baute mir gerade ein neues Leben!
Und sooo schwer war das ja gar nicht, diese Sache mit dem Holz; es ging alles leicht von der Hand, ohne Schwierigkeiten. Das Universum, so schien es, hat Geist und Hände geführt und sehr früh traute ich mir sogar zu, das Vordach im Eingangsbereich nach meinem Gusto umzuändern. Diese Änderungen flossen kurze Zeit später in einen neuen Bauplan von Jay Shafer ein… in den Tiefen des Internets findet man auch noch irgendwo einen Artikel über Jay Shafer gemeinsam mit mir als erstem Erbauer des ersten Tiny Houses in Europa. (Magazin „greenhome", Ausgabe 2, März-April 2011, Seiten 88 - 92, siehe ganz unten)
Der langen Rede kurzer Sinn:
die Jahre in meinem selbstgebauten Tiny House haben mich nicht nur aus einer selbstverschuldeten Lebens-Misere geführt, sondern die Augen in Hinsicht auf die Tatsache geöffnet, dass allgemein akzeptierte und eingeschlagene Wege und Werte nicht unbedingt die meinen sind und ich fortan nicht mehr auf die Masse, sondern auf meine ureigene Ratio, meine Intuition und mein Baugefühl höre.
Die Zeit in diesem Haus haben mein Leben komplett auf den Kopf gestellt und sind sogar großer Teil der Ursache dafür, dass ich nicht mehr fremder Leuts Esszimmer, sondern wunderbare Holzhäuser baue, die eher an Skulpturen als an herkömmliche Strukturen erinnern. Weiterhin empfinde ich meinen Geist als Lichtjahre besser strukturiert, da TV und Radio die ersten Dinge waren, die ich als „unnütz“ kategorisiert habe und gehen konnten… der dort in repetierter Form von sich gegebene Unsinn verstopft seit 2008 nicht mehr die für wirklich wichtige Dinge dringend benötigte Synapsen.
Wilfried Erdmann selig, mehrmaliger Weltumsegler, sagte:
„Contra Torrentem – lateinisch. Ich habe nachgeschlagen. Gegen den Strom schwimmen. Präzis sogar gegen einen wilden Strom. Könnte mein Lebensmotto sein, ist es auch. Mein ganzes Leben interessierte ich mich eher für die Ausnahme, das Gegenteil, den Sonderfall, die andere Seite.“
Das gilt sinngemäß auch für mich, es ist Teil des Kai-seins.
Zur wiederkehrenden Frage, wieso ich denn keine Tiny Houses baue:
ich mag diese geraden, glatten und meist emotionslosen Tiny Houses, wie sie heute angeboten werden, nicht. Allen gemeinsam ist die fehlende Philosophie, die eben nicht mehr mit dem Haus verkauft wird. Es fehlt damit die grundsätzliche „Betriebsanleitung“ zur sehr speziellen Lebensweise im Tiny House, wie sie ursprünglich gedacht war..
Zu bedenken wäre, dass die Leute, die heute in ein Tiny House ziehen, es nicht aus einer gewissen Not heraus machen - sie wollen einfach nur mal probieren, wie das ist. Und die meisten leben eben so weiter, wie sie es gewohnt sind. Das ist ein Fehler, weil es einer Selbstbeschränkung ohne tieferen Sinn gleichkommt.
Und nun denke aber niemand, dass ich Tiny Houses kategorisch ablehne… das exakte Gegenteil ist der Fall.
Es ist nur nichts für mich, denn da war ich schon.
Die andere Wahrheit, die sich für mich währenddessen eröffnet hat ist die, dass ich wirklich glaube, dass Menschen nicht dafür geschaffen sind, so zu leben. Wir sind dazu bestimmt, in liebevollen Gemeinschaften zu leben und jeden Tag in der Natur zu sein, unser eigenes Essen anzubauen und Kunst zu schaffen und nicht Tag und Nacht zu arbeiten, bis wir sterben.
Diese Sehnsucht nach einem anderen Leben ist nicht die menschliche Natur, sondern ein Symptom der modernen Gesellschaft.
Andererseits baue ich ja eigentlich doch Tiny Häuser. Nur in völlig anderer Form als gewohnt. Und ohne Räder.
Wenn man sich dann noch auf die oben in Grundzügen erläuterte Philosophie einlässt, so könnte es einem in meinen Häusern womöglich genau so ergehen wie einst mir.
Das muss man aber wollen - die Zeit dafür muss reif sein und Probleme erkannt.
Ansonsten sind meine Häuser - anders als die eckigen, im Schnellverfahren konstruierten, mit teuer aussehenden Oberflächen notdürftig überdeckten Billigstrukturen - einfach nur schöne Gartenhäuser.
Und diese brauchen eigentlich keine besondere Philosophie mehr - die ist schon eingebaut. Das merkt man spätestens in dem Moment, wenn man davor steht.